Winfried Hermann MdL

Winfried Hermann MdL: Auszug aus dem Live Stream zum Start-up Award Transforming Mobility 2020

Winfried Hermann MdL, Verkehrsminister Baden-Württemberg

Auszug aus dem live Stream zum Start-up Award ‘Transforming Mobility’ 2020

im Rahmen der online Preisverleihung

Logos der Gewinner

TRANSFORMING MOBILITY Award - Logos der Gewinner

Verkehrsminister Winfried Hermann

Interview mit Winfried Hermann MdL, Verkehrsminister Baden-Württemberg

Welche Auswirkungen hat Corona auf die Mobilitäts- und Energiewende bei uns im Land?

Interview mit dem Verkehrsminister Baden-Württemberg, Winfried Hermann MdL

Jürgen Häussler: Herr Minister, Corona und der Lockdown haben uns vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Neben den durchaus kritischen und auch negativen Auswirkungen gibt es auch positive Effekte. Welche positiven Erkenntnisse nehmen Sie mit?

Minister Hermann: “Wir sehen, dass aufgrund der Ausgangsbeschränkungen auch Positives entstanden ist: Wir hatten deutlich weniger Verkehrslärm, sogar in der Stadt konnte man die Vögel zwitschern hören. Die Menschen haben sich umgestellt, arbeiten im Homeoffice, anstatt zu Pendeln. Plötzlich gab es keine Pendlerstaus mehr. Wir machen Video-Konferenzen, anstatt uns vor Ort zu treffen. Das reduziert den Verkehr und spart CO2. Die zentrale Erkenntnis ist: Ein Leben mit weniger Verkehr ist möglich! Das ist positiv und wir sollten alles daransetzen, nicht mehr in alte Muster zurückzufallen. Sprich: Wir sollten alles dafür tun, das Verkehrsaufkommen dauerhaft zu reduzieren und den Autoverkehr zurückzudrängen.”

JH: Was wäre der ‘Worst-Case’ für die Zeit nach Corona?

Minister Hermann: “In den ersten Wochen des Lockdown hatten wir auf den Autobahnen und auf den Bundesstraßen weniger als die Hälfte des normalen Verkehrs. Aber bereits mit den ersten Lockerungen ging der Autoverkehr wieder hoch und er steigt weiter an. Dagegen wachsen die Fahrgastzahlen in den Bussen und Bahnen nur langsam. Erfreulich ist, dass der Anteil am Radverkehr gestiegen ist. Das kann jeder sehen: So viele Radfahrer wie in den letzten Wochen habe ich in Stuttgart selten gesehen.”

“Für den Klimaschutz wäre es fatal, wenn Menschen, die vor Corona auf den ÖPNV umgestiegen sind, jetzt wieder verstärkt auf das Auto als Fortbewegungsmittel im Alltag setzen. Dass zum Beispiel Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren, weil sie eine Ansteckungsgefahr im Schülerbus befürchten. Dann hätten wir plötzlich noch mehr Autoverkehr als vorher.”

JH: Über die Mobilitätswende wurde auch schon vor Corona viel diskutiert. Hat sich durch die Pandemie etwas geändert?

Minister Hermann: “Unser Ziel ist es nach wie vor, die Mobilitätswende voranzubringen. Dazu gehören natürlich Elektroautos und Elektrobusse. Wir sprechen aber auch über das E-Ticketing und die Vernetzung der Verkehrsträger wie Bahn, Carsharing oder Leihräder über sogenannte Mobilitätsknoten, um die erste oder letzte Meile zu überbrücken. Diese Themen möchte ich vorantreiben.”

“Zur Mobilitätswende gehört auch, dass wir eine einheitliche Datenarchitektur über alle Verkehrsanbieter und -nutzer hinweg aufbauen. Um die Menschen über die verschiedenen Mobilitätsangebote zu informieren, die zur Verfügung stehen. Um steuernd eingreifen zu können, zum Beispiel um den Verkehr verflüssigen und somit klimaschonender zu gestalten. Nicht neue Straßen braucht das Land, sondern die vorhandene Infrastruktur muss intelligenter genutzt werden – besser über den Tag und zwischen den Verkehrsträgern verteilt.”

JH: Kommunen haben die Situation während des Lockdown genutzt, um zeitlich befristet Straßenraum anders zu nutzen als bisher. Was können wir daraus lernen?

Minister Hermann: “Ich finde die Vorgehensweise der Kommunen sinnvoll, eine Neuaufteilung des Straßenverkehrsraums zunächst einmal zeitlich befristet auszuprobieren. Die Menschen lassen sich auf zunächst temporäre Änderungen eher ein, wenn sie wissen, das ist nicht endgültig. Es ist wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, Dinge auszuprobieren. Denn wir sind auf ihre Veränderungsbereitschaft angewiesen. Nur wenn sie bereit sind, es einmal anders zu machen und positiv zu erleben, erreichen wir Veränderung.”

JH: Was kann jeder Einzelne aus der Zeit des Lockdown mitnehmen?

Minister Hermann: “Jeder entscheidet selbst, wie er sich fortbewegt: Nehme ich das Fahrrad oder das Auto. Oder gehe ich zu Fuß. Wir alle sind unmittelbar beteiligt. Unsere Entscheidungen beeinflussen, wie sich der Verkehr entwickelt. Wir tragen Verantwortung für die Folgen unseres Handels. Das muss stärker thematisiert werden. Ich glaube, wir haben in der Corona-Krise gelernt, dass wir achtsamer sein müssen im Umgang mit unseren Mitmenschen und der Umwelt. Wir haben auch erkannt, dass das, was wir tun, unmittelbare Folgen hat.”

JH: Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Start-up Unternehmen bei der Mobilitätswende?

Minister Hermann: “Viele gute Ideen kommen von Start-ups. Gerade die Neue Mobilität braucht innovative Technik und neue Geschäftsmodelle und Konzepte. Hier sind Start-ups unverzichtbar. Historisch betrachtet waren auch Carl Benz, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach Start-ups, die man im 19. Jahrhundert „Gründer“ nannte! Sie hatten den Mut, in einer Gesellschaft, deren Mobilität vom Pferd und später der Eisenbahn geprägt war, zu sagen, ich mach was ganz anderes. Was Benz und Co gemacht haben, war gemessen am Zeitgeist absolut verrückt. Viele fragten damals: Wo sollen die Straßen herkommen? Wo der Treibstoff? Auch heute stehen wir wieder vor einer Wende und müssen Antworten finden.”

“Große Unternehmen sind wie große Institutionen. Sie sind in hohem Maße leistungsfähig, mit genau dem, was sie in ihrem Programm haben. Andererseits sind sie weniger wendig. Hier haben Start-ups einen entscheidenden Vorteil.”

JH: Herr Minister Hermann, wir bedanken uns sehr für das informative Gespräch.

Jürgen Häussler, CEO & Managing Partner JU-KNOW